Dienstag, 8. Dezember 2015

Laut gedacht

Die alten Rivalen duellieren sich mal wieder: Quantität versus Qualität. Die heutige Disziplin: Sprechen.


Sollte man nicht auch ganz nah bei sich sein, wenn man spricht? Sollte man nicht alles andere ausblenden, damit man sich wirklich auf das Wesentliche konzentrieren kann?

Wir sprechen. Zu Hause, in der Schule, bei der Arbeit. In der Gruppe und zu zweit. Vielleicht auch mit der Katze oder dem Hund. Sogar mit sich selbst, wenn meist jedoch stumm. Wir sprechen am Telefon oder sich vertraut in die Augen blickend. Übereinander. Im Idealfall miteinander.

Die meisten folgen der Prämisse, dass Quantität vor Qualität kommt. Bisweilen dürfte eine hohe Wortkadenz auch als Indikator für Zufriedenheit herhalten. Wer viel spricht, der denkt nicht mehr darüber nach, welche Konsequenzen das gesprochene Wort nach sich zieht. Wer viel spricht, der sagt, was er denkt. Der hat Selbstvertrauen. Der ist spontan.

Andererseits mag darin auch ein zarter Anteil Ignoranz stecken. Mitgefühl und Respekt äussern sich dann und wann im Schweigen. Der Quantitätssprecher läuft mitunter Gefahr, diese Werte durch eine Überdosis zu überlagern. Und vergessen wir nicht, dass Worte auch inflationär benutzt werden können. Siehe Politik.

Der stille Beobachter redet wenig. Dafür umso mehr mit inhaltlicher Wucht. Mit Witz und Scharfsinn. Das ist ungemein reizvoll. Es ist herrlich, wenn das eigene Wort über Gewicht verfügt. Gefragt zu werden. An sich ja schon eine ungemein angenehme Begebenheit, wenn man sich den Vorgang mit etwas Demut vor Augen führt. Gefragt zu werden bedeutet ja vielerlei. Man wird wahrgenommen, womöglich sogar als intelligent. Weshalb sollte man auch sonst gefragt werden? Man ist Teil eines Austausches. Es wird gelacht, angeregt, sinniert. Wunderbar!

Gute Antworten setzen einen gewissen Tiefgang voraus. Fragen übrigens auch. Sichtbar wird dieses Phänomen vor allem bei Sportinterviews. Nach dem Spiel hasten die Pressechefs über den Platz und schnappen sich die vermeintlich wichtigsten Protagonisten der vergangenen 90 Minuten. Noch völlig ausser Atem und unter Einfluss von körperlichen und geistigen Extremen sollen Fragen beantwortet werden, die der Journalist gerade eben verfasste. Und sie dürfen nicht schaden. Nicht dem sich stellenden Spieler, nicht dessen Kollegen und Arbeitgeber, nicht den Sponsoren. Die Denkwege sind folglich kurz und derart streng mit Leitplanken versehen, dass meist nur Floskeln resultieren.

Doch eigentlich dürstet der neugierige Geist nach mehr als betäubender Oberflächlichkeit, die sich im Übrigen natürlich nicht auf den Fussball bezieht, – dafür ist dieser Sport viel zu schön, ja kulturell viel zu bedeutend - sondern auf die zweifelhaften Vorgänge rund um diese schönste Nebensache.

Der bewusste oder unbewusste Intellekt lechzt nach Tiefgang. Nach Anregung. Nach Ironie. Ja, nach Ironie! Ein gefährliches Pflaster, setzt die Ironie doch ein gewisses Verständnis des Zuhörers voraus. Der hat Selbstvertrauen, der es trotzdem probiert. Selbstvertrauen wie der Quantitätssprecher.

Der Qualitätssprecher benötigt eine starke Persönlichkeit. Natürlich spricht auch er. Aber er ist anfällig auf Misserfolg. Wer jedes eigene Wort auf die eigene Goldwaage legt, dem geht die Spontanität und die gelegentlich wirklich schöne Ignoranz ab. Er beobachtet die Reaktionen, traut sich beim nächsten Mal vielleicht nicht mehr. Er kalkuliert und theoretisiert vermeintlich Banales, Lockeres, Spontanes.

Das Sprechen ist  noch immer Ausdruck von Spontanität. Oft bremst der Verstand zu spät. Dann ist es schon raus. Unwiderruflich im Ohr des Zuhörers. Schlimm, findet der Qualitätssprecher. Der Quantitätsvertreter würde dagegenhalten. Und hat damit nicht einmal Unrecht: Durch diese Unmittelbarkeit zwischen Denken und Mitteilen entsteht vereinzelt Wunderbares. Aufregendes entsteht nicht selten aus fallenden Masken oder unkontrolliertem Aussprechen von Lüsten und Gefühlen. Der Alkohol dient hierbei regelmässig als zuverlässiger Wegbereiter solcher Geschehnisse. Wir wagen uns gerne in unbekannte Gewässer, in Abenteuer. Vielleicht machen uns eben diese Erfahrungen irgendwann zum Qualitätssprecher.


Also, spricht! Spontan, einfach drauflos. Aber überlegt vorher noch was dabei. Goldiges Reden, goldiges Schweigen.

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