Die alten Rivalen duellieren sich mal wieder: Quantität versus Qualität. Die heutige Disziplin: Sprechen.
Sollte man nicht auch ganz nah bei sich sein,
wenn man spricht? Sollte man nicht alles andere ausblenden, damit man sich
wirklich auf das Wesentliche konzentrieren kann?
Wir sprechen. Zu Hause, in der Schule, bei der
Arbeit. In der Gruppe und zu zweit. Vielleicht auch mit der Katze oder dem
Hund. Sogar mit sich selbst, wenn meist jedoch stumm. Wir sprechen am Telefon
oder sich vertraut in die Augen blickend. Übereinander. Im Idealfall
miteinander.
Die meisten folgen der Prämisse, dass Quantität
vor Qualität kommt. Bisweilen dürfte eine hohe Wortkadenz auch als Indikator
für Zufriedenheit herhalten. Wer viel spricht, der denkt nicht mehr darüber
nach, welche Konsequenzen das gesprochene Wort nach sich zieht. Wer viel
spricht, der sagt, was er denkt. Der hat Selbstvertrauen. Der ist spontan.
Andererseits mag darin auch ein zarter Anteil
Ignoranz stecken. Mitgefühl und Respekt äussern sich dann und wann im
Schweigen. Der Quantitätssprecher läuft mitunter Gefahr, diese Werte durch eine
Überdosis zu überlagern. Und vergessen wir nicht, dass Worte auch
inflationär benutzt werden können. Siehe Politik.
Der stille Beobachter redet wenig. Dafür umso
mehr mit inhaltlicher Wucht. Mit Witz und Scharfsinn. Das ist ungemein reizvoll.
Es ist herrlich, wenn das eigene Wort über Gewicht verfügt. Gefragt zu werden.
An sich ja schon eine ungemein angenehme Begebenheit, wenn man sich den Vorgang
mit etwas Demut vor Augen führt. Gefragt zu werden bedeutet ja vielerlei. Man
wird wahrgenommen, womöglich sogar als intelligent. Weshalb sollte man auch
sonst gefragt werden? Man ist Teil eines Austausches. Es wird gelacht,
angeregt, sinniert. Wunderbar!
Gute Antworten setzen einen gewissen Tiefgang
voraus. Fragen übrigens auch. Sichtbar wird dieses Phänomen vor allem bei
Sportinterviews. Nach dem Spiel hasten die Pressechefs über den Platz und
schnappen sich die vermeintlich wichtigsten Protagonisten der vergangenen 90
Minuten. Noch völlig ausser Atem und unter Einfluss von körperlichen und
geistigen Extremen sollen Fragen beantwortet werden, die der Journalist gerade
eben verfasste. Und sie dürfen nicht schaden. Nicht dem sich stellenden
Spieler, nicht dessen Kollegen und Arbeitgeber, nicht den Sponsoren. Die
Denkwege sind folglich kurz und derart streng mit Leitplanken versehen, dass
meist nur Floskeln resultieren.
Doch eigentlich dürstet der neugierige Geist
nach mehr als betäubender Oberflächlichkeit, die sich im Übrigen natürlich
nicht auf den Fussball bezieht, – dafür ist dieser Sport viel zu schön, ja
kulturell viel zu bedeutend - sondern auf die zweifelhaften Vorgänge rund um
diese schönste Nebensache.
Der bewusste oder unbewusste Intellekt lechzt
nach Tiefgang. Nach Anregung. Nach Ironie. Ja, nach Ironie! Ein gefährliches
Pflaster, setzt die Ironie doch ein gewisses Verständnis des Zuhörers voraus.
Der hat Selbstvertrauen, der es trotzdem probiert. Selbstvertrauen wie der Quantitätssprecher.
Der Qualitätssprecher benötigt eine starke
Persönlichkeit. Natürlich spricht auch er. Aber er ist anfällig auf Misserfolg.
Wer jedes eigene Wort auf die eigene Goldwaage legt, dem geht die Spontanität
und die gelegentlich wirklich schöne Ignoranz ab. Er beobachtet die Reaktionen,
traut sich beim nächsten Mal vielleicht nicht mehr. Er kalkuliert und
theoretisiert vermeintlich Banales, Lockeres, Spontanes.
Das Sprechen ist noch immer Ausdruck von Spontanität. Oft
bremst der Verstand zu spät. Dann ist es schon raus. Unwiderruflich im Ohr des
Zuhörers. Schlimm, findet der Qualitätssprecher. Der Quantitätsvertreter würde
dagegenhalten. Und hat damit nicht einmal Unrecht: Durch diese Unmittelbarkeit
zwischen Denken und Mitteilen entsteht vereinzelt Wunderbares. Aufregendes
entsteht nicht selten aus fallenden Masken oder unkontrolliertem Aussprechen
von Lüsten und Gefühlen. Der Alkohol dient hierbei regelmässig als zuverlässiger
Wegbereiter solcher Geschehnisse. Wir wagen uns gerne in unbekannte Gewässer,
in Abenteuer. Vielleicht machen uns eben diese Erfahrungen irgendwann zum
Qualitätssprecher.
Also, spricht! Spontan, einfach drauflos. Aber
überlegt vorher noch was dabei. Goldiges Reden, goldiges Schweigen.
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