Donnerstag. Die meisten träumen wohl schon längst vom Wochenende. Oder
dem Sommer. Ist ja langsam auch genug mit dem Schnee und der Kälte. Dann gibt
es die Menschen, die perspektivisch denken. Beförderung, Abschlüssprüfungen.
Vielleicht auch Verlobung, Hochzeit. Dann gibt es mich, der von einem Abend mit
dem FC Southampton träumt.
„Für sowas würde ich wirklich alles stehen und liegen lassen.“,
schreibe ich Oliver. Dann weicht mein zufriedenes Lächeln irritiertem
Kopfschütteln. Weil ich es ernst meine. Ich würde tatsächlich viel dafür geben,
um einen Abend mit den Profis der Saints zu verbringen. Diese weilen für einen
Kurztrip in der Schweiz, nachdem man am Dienstag einen wichtigen 1:0-Heimsieg
über Crystal Palace feiern konnte. Als Fussballfan freut man sich natürlich,
wenn ein Premier-League-Verein in die Schweiz kommt. Als Fussballromantiker
freut man sich natürlich, wenn ein Premier-League-Verein wie der FC Southamtpon
in die Schweiz kommt. Inmitten grauer Büroarbeit beginnt das Fantasieren. Was
wäre wenn...
James Ward-Prowse, Frazer Forster, Graziano Pelle, Morgan Schneiderlin,
Ryan Bertrand, Dusan Tadic. Nun gut, der passioniorte
Match-of-the-Day-Zuschauer wird mit diesen Namen etwas anfangen können. Auch
dem überdurchschnittlichen Fussballkenner sind diese Namen mehr oder weniger
ein Begriff. Aber würden Nathaniel Clyne oder Shane Long wirklich erkannt
werden? Und dies noch in St. Gallen? Von mir schon.
Dann fährt eine Limousine vor und hält beim Marktplatz. Als sich die
Autotüren öffnen, drückt laute Musik heraus.
Wonderwall von Oasis rauscht nun über den lebendigen Marktplatz. Torwart
Frazer Forster brüllt lauthals mit, wird aber von einem energisch hupenden
VBSG-Bus übertönt. Der verärgerte Busfahrer steigt aus und nimmt sich Flügelzange
Eljero Elia zur Brust: „Gopfverdammi nomol! Es isch scho Zehni, i will langsam
Fürobig machä. Aber ihr Sautübel stönd im Weg. Etz hani Vohspötig!“ Der
Holländer bekundet natürlich Mühe mit dem Verständnis, sodass er dem erbosten
Fahrer einfach ein paar 50-Pfund-Noten anwirft. Allerdings lässt sich der
Busfahrer nicht beruhigen. Er flucht: „Heilandzack nomol!“ Sturmtank Graziano
Pelle mischt sich jetzt auch in den Disput ein und baut sich mit allen seiner
193 Centimeter vor dem Fahrer auf. Inzwischen hat sich eine Menschenmenge
gebildet, was weniger der Tatsache geschuldet ist, dass man die Protagonisten
des Streits erkennt, sondern mehr deshalb, weil das Gefährt der Fussballer auf
prominenten Besuch schliessen lässt. Auch ich gehöre zu den Schaulustigen,
stelle aber schnell fest, dass mir die Gesichter bekannt vorkommen. Ich kämpfe
mich nach vorne und spreche gleich den nun völlig aufgelösten Busfahrer an: „Du
was isch los?“ Er schildert mir die Situation, worauf ich Keeper Forster nun
vorschlage, dass ich ihnen einen Club zeigen würde. Der englische
Nationaltorwart spricht dann zur nach wie vor feiernden Gruppe: „C’mon lads!
He’ll show us a fockin’ nice nightclub.“ Nun steigen auch Toby Alderweireld und
Dusan Tadic, der mit Trainerhosen unterwegs ist, aus der Limousine und folgen
mir Richtung Box. Wie gewöhnlich an einem Donnerstag ist das Lokal reichlich
gefüllt. Während mir die Spieler ins Innere folgen, ziehen draussen Elia und
Tadic genüsslich an einer Zigarette. Oben angekommen bestellt Italiener Pelle
gleich mal 300 Grappa-Shots und legt zur Bezahlung sieben 1000-Franken-Noten
hin. Die Barkeeperin kommt Minuten später mit 75 Shots und will dem Stürmer
klarmachen, dass die nächste Ladung schon auf dem Weg sei. Pelle beachtet die
hübsche Blondine aber nicht, sondern ist bereits mit dem Verzehr des ersten
Shots beschäftigt. In diesem Moment stossen Elia und Tadic zur Gruppe. Elia
sieht gerade noch, wie die Barkeeperin ergebnislos versucht das Rückgeld
herauszugeben. Elia nimmt die Noten entgegen und versichert der Barkeeperin, er
würde seinem Freund das Geld geben. Stattdessen sucht sich der Holländer mühsam
die höchste Note heraus und zündet sich eine Zigarre an. Plötzlich erscheint
Trainer Koeman und klappst Schützling Elia auf die Schultern. Dieser reagiert
geschockt und will sich dem Trainer erklären. Koeman lächelt aber nur
verschmitzt und greift nach Elias Zigarre und zieht vergnügt daran.
Währenddessen unterhalte ich mich mit Mittelfeldpuncher Schneiderlin. Der
Franzose geht offensichtlich davon aus, dass jeder Schweizer der französischen
Sprache mächtig ist. „Ca va?“, fragt er mich. Ich hirne, versuche mich an die
letzten Brocken Französisch zu erinnern und gebe daraufhin souverän zurück: „Ca
va bien.“ Es bleibt aber nur beim Ansatz eines Gesprächs, da schlagartig die
Musik wechselt. Immer gleicher House weicht plötzlich 50 Cents „Candy Shop“.
Als wir über das Geländer in den ersten Stock blicken, machen wir die Übeltäter
aus. Der DJ-Pult ist fest in Händen der Saints. Sadio Sané und Ryan Bertrand tanzen
jetzt mehr oder weniger rhythmisch zu den Klängen des Rappers. Anschliessend
der nächste Zwischenfall, in welchen erneut die Nummer Eins, Frazer Forster,
involviert ist. Er ärgert sich darüber, dass es an der Bar kein Guinness gibt.
„I want a fockin’ Guinness, motherfocka!“ Trainer Koeman beweist derweil
Fingerspitzengefühl und erkennt den erneuten Ernst der Lage. Mit 25 Rosen
tänzelt er zu seinen Spielern und verteilt diese. Der in der Box obligate
Rosenverkäufer wittert den Umsatz seines Lebens und besorgt umgehend neue
Blumen. Als er 20 Minuten später wieder in der Box auftaucht, bin ich längst
mit Forster in ein angeregtes Gespräch vertieft. Jetzt erkenne ich aber eine
Chance auf ein paar Selfies. Mühevoll krame ich das IPhone aus der Hosentasche
und weise Forster an, seine Teamkollegen zusammenzutrommeln. „C’mon lads! We
need a few selfies!“ Gesagt, getan. Hinter mir stellen sich schnell Pelle,
Tadic, Elia, Schneiderlin, Forster und Koeman auf. Letzterer hat eine knapp 50
Jahre alte Dame in Schlepptau und tauscht Zärtlichkeiten aus. Er erklärt: „I
was in a club. The name is... I can’t remember... Timeout, yes! Timeout! Great
local!“ Als mir der Bestandteil der legendären Barca-Mannschaft von 1992 mit
Trainer Cruyff schildert, wie er Marlies, wie die Dame heisst, in die Box
schleuste, hat sich Forster längst an meinem Handy zu schaffen gemacht. „With
the lads“, lautet nun die Bildbeschreibung meines neuen Facebook-Bildes, das
auch nach 30 Minuten noch keine Likes zu verzeichnen hat. Die Gruppe hat sich
in der Zwischenzeit auf den Klosterplatz verschoben. Es vergehen keine fünf
Minuten bis Securitas einschreiten und die Saints bitten, den Platz zu
verlassen. Plötzlich fliegt ein Ochsner-Sport-Ball quer über die Wiese. Während
die Securitas die Flugbahn des Geschosses beobachten, grätscht Schneiderlin die
beiden um und schnappt sich das Leder. Sein anschliessender Steilpass landet
beinahe an den Mauern der Kathedrale, allerdings ist Graziano Pelle eher am
Ball und bedient Tadic, der die Kugel im Tor Richtung Pfalzkeller versenkt.
„When the Saints go marchin’ in“, ertönt es daraufin beinahe ohrenbetäubend auf
dem Klosterplatz.
„Arbeiten!“, ertönt es plötzlich im Büro. Mein Chef staucht mich
zusammen. Ich blicke ihn aber gelassen an und träume weiter. Vom Wochenende.
Ferien. Vielleicht von einer Beförderung. Dann schweife ich wieder ab und sehe,
wie Schneiderlin vor dem Elephant Club den Türsteher, der Tadic aufgrund der
Trainerhosen den Eintritt verweigert, kompromisslos umgrätscht. „C’mon lads!“,
weist Forster seine Mitspieler an. Und mich. Welch ein Traum.
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