Donnerstag, 5. März 2015

Saints Gallen

Donnerstag. Die meisten träumen wohl schon längst vom Wochenende. Oder dem Sommer. Ist ja langsam auch genug mit dem Schnee und der Kälte. Dann gibt es die Menschen, die perspektivisch denken. Beförderung, Abschlüssprüfungen. Vielleicht auch Verlobung, Hochzeit. Dann gibt es mich, der von einem Abend mit dem FC Southampton träumt.


„Für sowas würde ich wirklich alles stehen und liegen lassen.“, schreibe ich Oliver. Dann weicht mein zufriedenes Lächeln irritiertem Kopfschütteln. Weil ich es ernst meine. Ich würde tatsächlich viel dafür geben, um einen Abend mit den Profis der Saints zu verbringen. Diese weilen für einen Kurztrip in der Schweiz, nachdem man am Dienstag einen wichtigen 1:0-Heimsieg über Crystal Palace feiern konnte. Als Fussballfan freut man sich natürlich, wenn ein Premier-League-Verein in die Schweiz kommt. Als Fussballromantiker freut man sich natürlich, wenn ein Premier-League-Verein wie der FC Southamtpon in die Schweiz kommt. Inmitten grauer Büroarbeit beginnt das Fantasieren. Was wäre wenn...

James Ward-Prowse, Frazer Forster, Graziano Pelle, Morgan Schneiderlin, Ryan Bertrand, Dusan Tadic. Nun gut, der passioniorte Match-of-the-Day-Zuschauer wird mit diesen Namen etwas anfangen können. Auch dem überdurchschnittlichen Fussballkenner sind diese Namen mehr oder weniger ein Begriff. Aber würden Nathaniel Clyne oder Shane Long wirklich erkannt werden? Und dies noch in St. Gallen? Von mir schon.

Dann fährt eine Limousine vor und hält beim Marktplatz. Als sich die Autotüren öffnen, drückt laute Musik heraus.  Wonderwall von Oasis rauscht nun über den lebendigen Marktplatz. Torwart Frazer Forster brüllt lauthals mit, wird aber von einem energisch hupenden VBSG-Bus übertönt. Der verärgerte Busfahrer steigt aus und nimmt sich Flügelzange Eljero Elia zur Brust: „Gopfverdammi nomol! Es isch scho Zehni, i will langsam Fürobig machä. Aber ihr Sautübel stönd im Weg. Etz hani Vohspötig!“ Der Holländer bekundet natürlich Mühe mit dem Verständnis, sodass er dem erbosten Fahrer einfach ein paar 50-Pfund-Noten anwirft. Allerdings lässt sich der Busfahrer nicht beruhigen. Er flucht: „Heilandzack nomol!“ Sturmtank Graziano Pelle mischt sich jetzt auch in den Disput ein und baut sich mit allen seiner 193 Centimeter vor dem Fahrer auf. Inzwischen hat sich eine Menschenmenge gebildet, was weniger der Tatsache geschuldet ist, dass man die Protagonisten des Streits erkennt, sondern mehr deshalb, weil das Gefährt der Fussballer auf prominenten Besuch schliessen lässt. Auch ich gehöre zu den Schaulustigen, stelle aber schnell fest, dass mir die Gesichter bekannt vorkommen. Ich kämpfe mich nach vorne und spreche gleich den nun völlig aufgelösten Busfahrer an: „Du was isch los?“ Er schildert mir die Situation, worauf ich Keeper Forster nun vorschlage, dass ich ihnen einen Club zeigen würde. Der englische Nationaltorwart spricht dann zur nach wie vor feiernden Gruppe: „C’mon lads! He’ll show us a fockin’ nice nightclub.“ Nun steigen auch Toby Alderweireld und Dusan Tadic, der mit Trainerhosen unterwegs ist, aus der Limousine und folgen mir Richtung Box. Wie gewöhnlich an einem Donnerstag ist das Lokal reichlich gefüllt. Während mir die Spieler ins Innere folgen, ziehen draussen Elia und Tadic genüsslich an einer Zigarette. Oben angekommen bestellt Italiener Pelle gleich mal 300 Grappa-Shots und legt zur Bezahlung sieben 1000-Franken-Noten hin. Die Barkeeperin kommt Minuten später mit 75 Shots und will dem Stürmer klarmachen, dass die nächste Ladung schon auf dem Weg sei. Pelle beachtet die hübsche Blondine aber nicht, sondern ist bereits mit dem Verzehr des ersten Shots beschäftigt. In diesem Moment stossen Elia und Tadic zur Gruppe. Elia sieht gerade noch, wie die Barkeeperin ergebnislos versucht das Rückgeld herauszugeben. Elia nimmt die Noten entgegen und versichert der Barkeeperin, er würde seinem Freund das Geld geben. Stattdessen sucht sich der Holländer mühsam die höchste Note heraus und zündet sich eine Zigarre an. Plötzlich erscheint Trainer Koeman und klappst Schützling Elia auf die Schultern. Dieser reagiert geschockt und will sich dem Trainer erklären. Koeman lächelt aber nur verschmitzt und greift nach Elias Zigarre und zieht vergnügt daran. Währenddessen unterhalte ich mich mit Mittelfeldpuncher Schneiderlin. Der Franzose geht offensichtlich davon aus, dass jeder Schweizer der französischen Sprache mächtig ist. „Ca va?“, fragt er mich. Ich hirne, versuche mich an die letzten Brocken Französisch zu erinnern und gebe daraufhin souverän zurück: „Ca va bien.“ Es bleibt aber nur beim Ansatz eines Gesprächs, da schlagartig die Musik wechselt. Immer gleicher House weicht plötzlich 50 Cents „Candy Shop“. Als wir über das Geländer in den ersten Stock blicken, machen wir die Übeltäter aus. Der DJ-Pult ist fest in Händen der Saints. Sadio Sané und Ryan Bertrand tanzen jetzt mehr oder weniger rhythmisch zu den Klängen des Rappers. Anschliessend der nächste Zwischenfall, in welchen erneut die Nummer Eins, Frazer Forster, involviert ist. Er ärgert sich darüber, dass es an der Bar kein Guinness gibt. „I want a fockin’ Guinness, motherfocka!“ Trainer Koeman beweist derweil Fingerspitzengefühl und erkennt den erneuten Ernst der Lage. Mit 25 Rosen tänzelt er zu seinen Spielern und verteilt diese. Der in der Box obligate Rosenverkäufer wittert den Umsatz seines Lebens und besorgt umgehend neue Blumen. Als er 20 Minuten später wieder in der Box auftaucht, bin ich längst mit Forster in ein angeregtes Gespräch vertieft. Jetzt erkenne ich aber eine Chance auf ein paar Selfies. Mühevoll krame ich das IPhone aus der Hosentasche und weise Forster an, seine Teamkollegen zusammenzutrommeln. „C’mon lads! We need a few selfies!“ Gesagt, getan. Hinter mir stellen sich schnell Pelle, Tadic, Elia, Schneiderlin, Forster und Koeman auf. Letzterer hat eine knapp 50 Jahre alte Dame in Schlepptau und tauscht Zärtlichkeiten aus. Er erklärt: „I was in a club. The name is... I can’t remember... Timeout, yes! Timeout! Great local!“ Als mir der Bestandteil der legendären Barca-Mannschaft von 1992 mit Trainer Cruyff schildert, wie er Marlies, wie die Dame heisst, in die Box schleuste, hat sich Forster längst an meinem Handy zu schaffen gemacht. „With the lads“, lautet nun die Bildbeschreibung meines neuen Facebook-Bildes, das auch nach 30 Minuten noch keine Likes zu verzeichnen hat. Die Gruppe hat sich in der Zwischenzeit auf den Klosterplatz verschoben. Es vergehen keine fünf Minuten bis Securitas einschreiten und die Saints bitten, den Platz zu verlassen. Plötzlich fliegt ein Ochsner-Sport-Ball quer über die Wiese. Während die Securitas die Flugbahn des Geschosses beobachten, grätscht Schneiderlin die beiden um und schnappt sich das Leder. Sein anschliessender Steilpass landet beinahe an den Mauern der Kathedrale, allerdings ist Graziano Pelle eher am Ball und bedient Tadic, der die Kugel im Tor Richtung Pfalzkeller versenkt. „When the Saints go marchin’ in“, ertönt es daraufin beinahe ohrenbetäubend auf dem Klosterplatz.


„Arbeiten!“, ertönt es plötzlich im Büro. Mein Chef staucht mich zusammen. Ich blicke ihn aber gelassen an und träume weiter. Vom Wochenende. Ferien. Vielleicht von einer Beförderung. Dann schweife ich wieder ab und sehe, wie Schneiderlin vor dem Elephant Club den Türsteher, der Tadic aufgrund der Trainerhosen den Eintritt verweigert, kompromisslos umgrätscht. „C’mon lads!“, weist Forster seine Mitspieler an. Und mich. Welch ein Traum.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen